Mittwoch, 14. April 2010

Zeitreise, Fa'a Samoa und der Sauersack von Frau Hader

Kaum haben wir zuletzt unseren Beitrag ueber Fidschi veroeffentlicht, schon haben wir nunmehr bereits den Suedpazifik insgesamt verlassen und weilen gerade mitten im groesstmoeglichen Kontrast - der Megametropole Los Angeles. Direkt hier im Hostelzimmer steht ungewohnlicherweise ein Museumsreifer PC mit Internetzugang, dessen ich mich jetzt bediene, um die vergangenen Tage revue passieren zu lassen.
Samoa liegt nur 1.200 km nordwestlich von Fidschi und ist damit fuer dortige Verhaeltnisse nur einen Katzensprung entfernt. Kuerzer als unsere Anreise von Melanesien nach Polynesien konnte ein Weg jedoch selten sein, denn als wir Samoa erreichten, waren wir tatsaechlich im Gestern angekommen. Damit moechten wir allerdings ganz und gar nicht behaupten, dass Samoa gegenueber seinem verhaeltnismaessig grossen Nachbarn rueckstaendig sei, auch wenn dort alles gleich mehrere Nummern kleiner zugeht. (Auf den beiden nennenswerten Inseln 'Upolu und Savai'i gibt es insgesamt nur eine Stadt, naemlich die Hauptstadt Apia - "the town" mit ca. 35.000 Einwohnern. Der Rest ist tropischer Natur und einigen Doerfern vorbehalten.) Nein, die Reise ins Gestern ist vielmehr wortlich zu nehmen, denn wir starteten von Nadi am letzten Freitag und kamen in Samoa am Donnerstag an - die internationale Datumsgrenze macht es moeglich! Wir sassen einfach im Flugzeug und ploetzlich war wieder gestern, ohne dass wir es auch nur bemerkten. Jedem, der in seinem Leben noch keine Zeitreise gemacht haben sollte, sei aber versichert, dass dies alles ganz unspeltakular ablaeuft. Aufregend ist es dennoch, die kleinen Kuriositaeten des Reisens hoechstpersoenlich zu erfahren.
Schon als wir abends in Samoa landeten, war allueberall die Gelassenheit der Leute zu spueren, aehnlich wie dies in Fidschi der Fall war. Oberflaechlich betrachtet kann man sowieso schnell dazu verleitet werden zu behaupten, dass Fidschi und Samoa im Grunde genommen kaum voneinander verschieden seien. Wer aber noch bei der Abreise bei einem solchen Urteil bleibt, hat das Land bestimmt nicht genauer kennengelernt. Zwar lassen es Fidschianer wie Samoaner gerne etwas ruhiger angehen, so wie es die suedpazifische Gelassenheit wohl insgesamt mit sich bringt. Doch haben beide Nationen - ganz abgesehen vom sehr verschiedenen Aussehen ihrer Bewohner - ihre ganz besonderen Eigenheiten. In Samoa fasst man solche unter "Fa'a Samoa" zusammen, die samoanische Art zu leben. Dies mag in Teilen, sicher nicht aber im Kern dem fidschianischen "vaka malua" entsprechen, denn "Fa'a Samoa" umfasst stets auch das Bewusstsein einer stolzen nationalen Identitaet. Die Familie steht ueber allem und ist im grossen samoanischen Gemeinwesen verankert. So wirken die Samoaner oft etwas eigener als wir es von der mitunter miltikulturellen Gesellschaft in Fidschi kennenlernen durften. Die Fidschianer bleiben dabei fuer mich der freundlichste und offenste Menschenschlag, dem ich je begegnet bin; die Samoaner wirken teilweise ein wenig verschlossener. Hat man aber einmal den Zugang zu ihnen gefunden, dann kann man sich einem gewissen Teil des "Fa'a Samoa" kaum mehr entziehen. Ein gutes Beispiel gibt die Familie ab, in deren Pension wir gelebt haben: Ohne wenn und aber hatte sie uns und auch ihre Angestellten wie selbstverstaendlich zum allsonntaeglichen Festschmaus eingeladen, wie dies regelmaessig passiert. Das Essen aus dem Erdofen - "umu" genannt - gehoert zu den festen Familienritualen und bezieht auch die Menschen um sich herum ein. Ganz nebenbei war es dazu noch ausgesprochen koestlich! Auch hier unterscheiden sich uebrigens fischianische und samoanische Kultur im Detail; obwohl beide Nationen gerne aus dem Erdofen essen, ist der fidschianische ("lovo") in seiner Funktion anders, naemlich wieder mal "vaka malua". Dort gart das Essen ueber Stunden bei schonender Hitze, waehrend der samoanische "umu" bei grosser Hitze mit gut einer Stunde auskommt. So ist das "lovo"-Essen trotz grundsaetzlich gleicher Zutaten wesentlich zarter zu geniessen, waehrend das "umu"-Pendant mit dem kraeftigeren und wuerzigeren Geschmack aufwarten kann. Mir laueft schon wieder das Wasser im Munde zusammen...
Der kulinarische Hochgenuss blieb selbstredend nicht auf das aussergewoehnliche Festtagsessen beschraenkt, sondern umfasste vielmehr natuerlich ebenso die alltaeglichen Obstfreuden. Auch wenn wir uns an die frischen exotischen Fruechte zuvor schon recht gut gewoehnt hatten, waren sie immer wieder aufs Neue ein wahrer Hochgenuss. Unter zwei Papayas konnten wir keinen Tag durchstehen, und schon jetzt, wenige Stunden nach unserer Abreise aus Samoa, vermissen wir die zuckersuessen Gaumenfreuden der tropischen Natur. Der Markt in Apia war eine stetige und unerschoepfliche Fundgrube fuer die leckersten lokalen Produkte - sei es mit fast schon abartig suessem und aromatischem Obst, frischen, fettig gebratenen Wurzelsnacks (nicht so unser Fall) oder dem unvergleichlichen "koko Samoa", dem lokalen unbitteren Kakao, der wie Kaffe wirkt und getrunken wird. Der groesste Fang gelang uns aber wieder einmal im Fruchtbereich, denn es fiel uns etwas ins Auge, das wie eine etwas zerknautschte Durian (die in Singapur zugleich geliebte und geschasste Stinkfrucht) aussah. Auf dieses Kuriosum angesprochen entgegnete die Marktfrau, dass es sich um einen Sauersack ("sour sop") handele, also keineswegs ein stinkendes Etwas zu befuerchten sei, obwohl das Aeussere des gruenen stacheligen Klumpens nichts Gutes erahnen liess. Beim Stichwort "sour sop" oeffnete sich aber bei mir sofort das Herz und schnell auch die Gier auf die Frucht, denn ich fuehlte mich postwendend an ein nun auch schon vier Jahre zurueckliegendes Geschmackserlebnis aus den Philippinen erinnert, das just auf dieses haessliche Obst-Etwas zurueckzufuehren war. Denn der Sauersack, dessen Aussehen und Name in keinem Verhaeltnis zu seinem fabuloesen Geschmack stehen, ist der unerkannte Koenig unter den Fruechten. Hat man ihn einmal probiert, wird das haessliche Entlein schnell zum stolzen Schwan. Eine unnachahmliche Komposition aus Ananas, Litschi und einem Hauch von Pfirsich machen den cremig-anregenden Geschmack des Sauersacks aus; und es ist wahrlich nicht leicht, so etwas zu finden. Was fuer ein Glueck wir hatten!
Doch damit nicht genug; die Sauersackverkauferin entpuppte sich als ausgesprochen kommunikativ und wollte mehr ueber ihre neu gewonnenen Kunden erfahren. Als die Antwort auf ihre Frage unserer Herkunft "Germany" lautete, blitzten ihre Augen auf und sie versicherte uns stolz, dass auch sie einen deutschen Hintergrund habe. Auch wenn sie bis auf ihre recht helle Hautfarbe nicht danach aussah, so versicherte sie uns doch, dass ein Teil ihrer Familie aus Deutschland stamme und sich in der Kolonialzeit auf Samoa niedergelassen habe. Ihr Name sei Hader, berichtete sie stolz weiter. Dieses kleine Intermezzo mit der Sauersackverkaeuferin Frau Hader passt ganz gut in das Gesmatbild der Samoaner von Deutschland. Denn Obwohl die Inseln nur zwischen 1900 und 1914 eine Kolonie des damaligen Kaiserreichs waren, ist doch einiges aus jener Zeit bis heute dort verblieben. Deutsche Namen sind sowieso keine Seltenheit (z.B. heisst der Betreiber der einzigen amerikanischen Burgerbraterei Hans J. Keil), ebenso ist man hier auf die Strasseninfrastruktur und auch das Grundbuchamt (ja, das gibt es wirklich!) stolz, was ohne die Deutschen in dieser Form wohl nicht existieren wuerde. Auch fuehrten uns unsere neugierigen Recherchen nach deutschen Ueberbleibseln immer wieder zu Gedenkstaetten mit deutschen Inschriften, die weiterhin mit Hingabe gepflegt werden. Sogar das Polizeiorchester von Apia marschiert jeden Wochentag zu deutscher Marschmusik durch die Strassen - ein sehr kusioses Bild! Man kann sogar sagen, dass wir auch in dieser Hinsicht gelegntlich eine kleine Zeitreise unternommen haben, die uns ins historische Samoa zurueckfuehrte. Mehr Zeitreise geht eigentlich gar nicht, eine Zeitmaschine wuerde der Menschheit auch keine groesseren Erkenntnisse liefern.
Ungeachtet dessen moechten wir aber trotz all dieser interessanten Details nicht verschweigen, wie wunderschoen das Land Samoa als solches ist. Tropische Regenwaelder, fruchtbare Berglandschaften mit mejestaetischen Wasserfaellen (teilweise 100 Meter tief!) und weisse Sandstraende an tuerkisblauem Wasser erzeugen eine abwechslungsreiche Postkartenidylle, deren farbintensiven, kontrastreichen Zauber angemessen zu beschreiben uns die Worte fehlen. Allein der Blick von unserer Pension am Berg auf das Tiefland um Apia und den allgegenwaertigem Ozean, der von einer mit stetigem Meeresrauschen und wechselndem Vogelgezwitscher laut untermalten Stille begleitet wird, war die Einreise in dieses herrliche Land wert! Die Lebensqualitaet, die wir erfahren durften, als wir bei einer heissen Tasse koko Samoa begleitet von einer frischen uebersuessen Banane auf das Tal schauten und nichts als den launigen Lauten der Natur lauschten, ist schlicht nicht in Worte zu fassen. Wir werden uns noch lange und immer wieder gerne an solch erhabene Momente erinnern.
Diese Momentaufnahmen bestaetigte unsere kleine Inselrundfahrt an unserem letzten Tag, als wir leider erst recht spaet die Gelegenheit hatten, auch andere Teile von 'Upolu kennenzulernen. (Fuer Savai'i blieb leider gar keine Zeit.) Fuer einige Taler (eigentlich heisst die Waehrung Tala, aber wir spekulieren, dass auch dies auf die guten alten deutschen Taler zurueckzufuhren ist) mieteten wir uns ein Taxi an, das uns durch den Sueden und Osten der Hauptinsel fuehren sollte. Das tat es auch, obwohl die Fuehrung eher uns oblag. Denn wir heuerten, ohne es zu wissen, den wahrscheinlich intelektuell am wenigsten fortgeschrittenen Bewohner der ganzen Insel als Fahrer an, der trotz seiner Herkunft aus Amerikanisch-Samoa (immerhin ein US-Territorium) kaum englisch sprechen und verstehen konnte, des Kartenlesens offenbar nicht maechtig und selbst mit Haenden und Fuessen nur schwer von unseren Absichten in Kenntnis zu setzen war. So duerfen wir heute zumindest behaupten, Samoa tatsaechlich auf eigene Faust entdeckt zu haben, denn der Fahrer war eher Last denn Hilfe auf unseren Wegen durch unbekanntes Terrain. Ebenen solches stand aber unseren Eindruecken und bisherigen Beschreibungen in nichts nach, denn bereits erwaehnte spektakulaere Landschaften durchzogen von den aberwitzigsten Gruentoenen, majestaetischen Wasserfaellen und dem Spektakel von weissem Sand und kristallgleichem Wasser setzten sich unentwegt fort.
Leider riss ploetzlich die Erinnerung an die zerstoererische Allmacht der Natur eine klaffende Wunde mitten in dieses Idyll. Denn moegen auch die gesamten Schoenheiten dieses Landes der Natur geschuldet sein, so ist es immer noch sie selbst, die bestimmt, was mit all dem geschehen mag. Die Auswirkungen des letztjaehrigen (in heimatlichen Medien wenig beachteten) Tsunamis waren im Sueden von 'Upolu noch allgegenwaertig. Zerstoreung ersetzte die gewohnten Bilder bescheidener, aber stolz errichteter "fale" (traditionelle Holzhaueser), vor dem Traumstrand lagen ploetzlich bis auf das Fundament eingestuerzte Ruinen mit direkt davor errichteten offensichtlich frischen Graebern. (In Smoa werden die Toten traditionell ganz nah an ihrem zu Hause begraben.) Mehr Beweis benoetigt man nicht um sicher zu sein, dass der Mensch die Welt, in der er lebt, niemals wird beherrschen koennen; stattdessen sollte er alles dafuer tun, sie nicht weiter zu veletzen, um nicht selbst am Ende das Opfer zu sein. Hier waren die Opfer sogar "nur" diejenigen, die nicht einmal einen Eingriff vorgenommen haben. Aber was wird noch kommen? (Uebrigens war auch der staendig steigende Meeresspiegel schon in Fidschi deutlich sichtbar und sollte jeden Besucher alarmieren, nicht gegen, sondern fuer seine Umwelt zu handeln.) Trotz all der Zerstoerung und all dem Leid war es fuer uns umso troestliocher zu sehen, mit welchem Lebensmut, welcher Zuversicht und welcher Freude die Bewohner der betroffenen Gebiete schon jetzt wieder mit ihrer taeglichen Arbeit - neben dem Woederaufbau - beschaeftigt waren. Das verdient nicht nur hoechste Anerkennung, sondern zeigt auch, wie fruchtbar der Zusammenhalt der Bevoelkerung - auch als Ausdruck des Fa'a Samoa - funktioniert. Spaetestens jetzt war uns klar, dass diese besondere Natur auch mit besonderen Menschen gesegnet ist. Versoehnlich, wenn auch immer noch schockiert ob der zerstoererischen Eindruecke, kehrten wir schliesslich zu unserer Traumpension zurueck.
Leider mussten wir wenig spaeter das Land schon wieder verlassen, obwohl es einen laengeren Besuch mehr als verdient gehabt haette. Aber so geht es ja schon die meiste Zeit unserer Weltreise - die Zeit ist oft nicht auf unserer Seite. Dennoch ist der Fundus des Erlebten, welchen wir nicht mehr wieder hergeben werden, so hoch, dass wir keine Minute auf Samoa bereuen. Wie koennten wir auch! Zugleich sind wir gespannt, was uns das Kontrastprogramm im keineswegs beschaulichen Los Angeles ab morgen zu bieten hat. Bis dahin vorerst: Gute Nacht!

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