Sonntag, 2. Mai 2010

Kurztrip nach Nicaragua: Grenzwärtiges und Grenzwertiges

Wie beim letzten Mal angekündigt, waren wir auf dem Weg für einen dreitägigen Kurztrip nach Nicaragua, den nördlichen und oft grundverschiedenen Nachbarn Costa Ricas. Inzwischen sind wie wieder heil im gelobten und liebgewonnenen Land der "reichen Küste" zurückgekehrt und um einige Erfahrungen reicher.
Wir alle (den wohl weit überwiegenden Teil der geschätzen Lesershaft eingeschlossen) haben ja das Glück, Bürger der Europäischen Union zu sein und wissen daher oft gar nicht, was es heißen kann, eine Landgrenze zwischen zwei Staaten zu überqueren. Wir wissen es jetzt umso besser (und in meinem Fall wurden alte Erinnerungen von vor vier Jahren erneuert). Es ist kein Zuckerschlecken und schon gar kein Spaß. Es ist Nerven aufreibend, langwierig und chaotisch. Es untermauert unseren Stolz auf die zahlreichen Errungenschaften unseres trotz Griechenland-Krise ausgezeichnet funktionierenden Staatenverbundes! Von neun Stunden Reisezeit verbrachten wir fast drei mit bloßen Grenzvorgängen. Im Zeitraffer bedeutet das:
1. Anfahrt = Langsames einspuriges Vorbeimanövrieren des Busses im Gegenverkehr einige Kilometer vor der Grenze an parkenden LKW-Kollonnen entlang.
2. Ausreisen aus Costa Rica = Langes Schlange stehen im Freien bei feuchter Hitze unter ständiger Abwehr von allzu geschäftstüchtigen, fritierte Nichtköstlichkeiten verkaufenden Straßenhändlern und illegalen Geldwechslern, die jedem ihre Scheine herausfordernd mit lautem Rascheln um die Ohren wedeln. Irgendwann wird endlich der Pass abgestempelt.
3. Grenzüberquerung im eigentlichen Sinne = 500 Meter im Schneckentempo durch die stark gesicherten eingezäunten Grenzposten fahren.
4. Einreise nach Nicaragua = Ausreise aus Costa Rica mit umgekehrten Vorzeichen + noch mehr nervige und aufdringlichere mit wertlosem Krempel + Gepäckkontrolle + Zahlen einer Einreisegebühr von 8 US-Dollar.
Herzlich willkommen im "Vergnügungspark" Nicaragua! Die Geisterbahn mit ihren grenzwertigen Erfahrungen gibt es gratis dazu.
Irgendwann kamen wir tatsächlich in Granada, einer der ältesten Städte des Kontinents, an. Die unzähligen charmanten Kolonialgebäude sind inzwischen alle wieder nett hergerichtet, in allen Ecken und Enden harmonieren die farbenfrohen Anstriche perfekt mit Himmel und Sonne. Es ist einfach schön anzusehen und durch die Straßen zu laufen, wo die Leute in ihren schattigen Innenhöfen im Schaukelstuhl entspannen. Sie tun übrigens wirklich gut daran, denn es war gelinde gesagt bullenheiß in Granada. Zum Schwitzen reichte es, in der feuchten Luft einfach nur zu stehen. Man muss einfach alles sehr langsam angehen lassen, aber das sind wir ja zum Glück dank zahlreicher Reiseerfahrungen bestens gewöhnt...
Leider passt zu diesem vermeintlichen romantischen Idyll die Aufdringlichkeit vieler Nicaraguaner überhaupt nicht. Dass alles etwas wuseliger und weniger geordnet abläuft als in Costa Rica ist die eine, auch sympathische Sache. Die andere ist aber, dass man an kaum einem Ort einmal in Ruhe gelassen wird, um möglichst viele Hängematten, Zigaretten oder Taxifahrten lautstark anzupreisen. Der Genuss der tollen Kulisse Garanadas mit ihren wunderschönen Kirchen, Plätzen und liebevoll gekachelten Bürgersteigen hatte oft einen bitteren Beigeschmack. Die Grenzerfahrungen wurden so oft auch in der Stadt fortgeführt, und das hat das oft geschundene Land wirklich nicht verdient.
So reisten wir mit durchaus gemischten Erinnerungen wieder zurück gen Süden. Man darf eben nicht vergessen, dass Nicaragua eines der ärmsten Länder des gesamten amerikanischen Kontinents ist und Costa Rica dagegen eines der reichsten. Armut sieht man auch vom Bus aus häufiger, es ist meist schmutziger und leider auch heruntergekommen. Die offenbar tatenlose und doch allgegenwärtige Propaganda der regierenden Sozialisten, die häufig den Eindruck eines "Kuba light" erweckte, macht die Lage der Menschen nicht besser, obwohl uns mangels echter Erfahung profunde Kritik sicher nicht zusteht und wir sie auch gar nicht üben möchten. Es sind bloß Eindrücke, die uns aber oft grenzwertig erschienen.
Dennoch können wir nicht abstreiten, dass wir uns auf der grenzwärtigen Fahrt nach Costa Rica besser fühlten, weil wir wussten, dass uns ein angenehmerer Ort erwartet. Davor stand "nur" weiteres Grenzprozedere, dass sich noch länger als jenes auf der Hinfahrt ausdehnte. Noch einmal beschreiben brauchen wir es wohl nicht bis auf die Bemerkung, dass Nicaragua wohl doch kein Vergnügungspark sein kann, weil wir auch eine Ausreisegebühr zu entrichten hatten. Wofür und zu wessen Gunsten? Lassen wir dies mal unkommentiert.
Die Freude, zurück in der Heimat San José und bei unserem Freund Marvin zu sein, währte indes leider nur einen Tag. Dies ist unserem dichten Zeitplan geschuldet, denn unsere Reise ist ja meistens in Bewegung wie ein perpetuum mobile. Wir nutzten also die wenige Zeit und verbrachten sie ausgiebig mit Marvin und seinen Freunden. Der Abschied eben fiel uns entsprechend schwer, war doch der Aufenthalt in San José einer unserer herzlichsten. Wir werden auf jeden Fall irgendwann zurückkehren und am besten etwas länger bleiben. Wir wissen jetzt erst recht, was Pura Vida ist. Wir lieben Costa Rica!

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